Die Alemannia ist für mich eine Herzensangelegenheit

Ein Gespräch mit Christophe Bauduin über seine Rückkehr an den Eichwald

Er war während knapp eines Jahrzehnts Jugend- und Aktiven-Trainer, stellvertretender und kommissarischer Jugendleiter – bis zur Abmeldung der Seniorenmannschaften im Winter 2012/13. Jetzt ist Christophe Bauduin (43) zurück bei den Alemannia-Kickern – und mit ihm nicht nur jede Menge Erfahrung im Breiten- und Leistungsfußball, Tatendrang und Visionen, sondern auch viel A08-«Stallgeruch» und -Leidenschaft. Der «kölsche Franzose», wie er sich – geboren in Brüssel, aufgewachsen in Nizza und seit dem 10. Lebensjahr im Rheinland – selbst bezeichnet, besitzt seit 2002 die DFB-B-Trainer-Lizenz und will sich künftig auf wie neben dem Platz der strukturellen Jugendarbeit widmen. Sein Ziel ist es, in der sich derzeit neu formierenden Alemannia-Fußballabteilung ein altersübergreifendes Ausbildungskonzept zu entwickeln, damit der Verein auf der soliden Basis des eigenen Nachwuchses langfristig sportlich erfolgreich sein kann.

Interview: Ralf Behrens

A08: Christophe, du hast dich nach dem vorzeitigen Ende deines Engagements als Trainer der zweiten Mannschaft des FC Auggen zur Winterpause trotz Angeboten mehrerer anderer Vereine dazu entschieden, nach vier Jahren an den Eichwald zurückzukehren. Was hat den Ausschlag für die Alemannia gegeben?
Christophe: Ich bin ja damals nicht im Streit gegangen und habe mich bei der Alemannia immer wohl gefühlt. Und so habe ich dann auch weiter verfolgt, was sich hier bewegt. Man hat auch abseits des Eichwaldstadions gemerkt, es tut sich was: Man sah hier ein Plakat, dort eine Anzeige oder einen Eintrag auf Facebook und immer mehr Jugendliche mit A08-Jacken in der Stadt. Es sind wieder Personen im Verein, die sich engagieren, ein tragfähiges Konzept entwickelt haben und dahinterstehen. Ich habe mir nach meiner Entlassung in Auggen alle Angebote angehört, aber eigentlich stand meine Entscheidung schon fest, denn die Alemannia ist für mich eine Herzensangelegenheit. Die Präsentation des Konzepts Anfang Dezember letzten Jahres hat mich einfach angesprochen. Wir haben hier jetzt die Möglichkeit, auf der grünen Wiese neu anzufangen und zu sagen: So stellen wir uns den Verein vor. Darin finde ich mich wieder, und ich möchte diesen Weg mitgehen.

A08: Du bist ja bereits in sehr jungen Jahren, damals noch in Köln, Fußballtrainer geworden. Wie kam es dazu?
Christophe: Wegen einer Knieverletzung als Folge eines Fahrradunfalls musste ich schon früh, mit etwa 21, 22 Jahren, mit dem Fußballspielen aufhören. Ich war damals auf einem ganz guten Weg, aber nach diesem Unfall konnte ich den Anforderungen in der Landesliga mit dreimal wöchentlichem Training auf die Dauer nicht mehr standhalten. Der Fußball hat mich aber nicht losgelassen, und so hatte ich dann schnell den Wunsch, meine Erfahrungen und Überzeugungen als Spieler in die Tätigkeit als Trainer von jungen Fußballern einzubringen, sie zu animieren, sich in den Sport zu investieren. Ihnen zu vermitteln, dass der, der sich investiert, auch Erfolg haben kann – nach dem Motto: Erfolg ist planbar. Der konkrete Einstieg ins Trainergeschäft wurde dann durch meine Schwester ausgelöst, die damals ebenfalls höherklassig Fußball gespielt hat und mir ein Engagement in einer U16-Mädchenmannschaft vermittelte.

A08: Du hast dann auch relativ früh schon eine offizielle Trainerausbildung angestrebt und absolviert. Was waren die Beweggründe dafür?
Christophe: Nach den Mädchen kam eine C2-Junioren-Mannschaft, und ich habe schnell gemerkt, dass ich als Trainer fachlich an meine Grenzen stieß. Man lässt ja üblicherweise das trainieren, was man selbst als Spieler gemacht hat. Wenn die Jugendlichen aber mal so 14, 15 Jahre alt sind, fangen sie an zu hinterfragen, was man ihnen da anbietet. Gerade dieser Austausch hat mich gereizt, und ich wollte gezielter, auch im taktischen Bereich, arbeiten. Mir wurde schnell klar, dass ich ohne Ausbildung nicht weiterkomme, und ich habe dann 2002 an der Sportschule Hennef die Prüfung für die DFB-B-Lizenz abgelegt.

«Sportlichen Erfolg zu haben ist für einen Verein gut, reicht allein aber auf Dauer nicht aus»

A08: Wie ging es danach sportlich für dich weiter?
Christophe: Ich bekam die Gelegenheit, bei PSI Yurdumspor Köln, einem ambitionierten türkischen Verein, damals hinter den großen Kölner Fußballklubs – dem FC, der Fortuna und der Viktoria – die vierte Adresse in der Stadt, einzusteigen. Der Verein war vom Leistungsniveau her top aufgestellt, mit einer aktiven Mannschaft in der Oberliga, den A-Junioren in der Bundes- und den B-Junioren in der Regionalliga. Dort hatte ich erste Berührungspunkte mit dem Leistungsfußball. Es war schon ein Riesenunterschied zwischen einer C2, wo es hieß, wir wollen ein bisschen Fußball spielen, und wo der Spaß im Vordergrund stand, und einer B2 oder B1 im oberen Bereich, wo es für den einen oder anderen danach bei den Senioren in Richtung Profi- oder höherklassigen Amateurfußball ging. Es war eine wertvolle Erfahrung zu sehen, wie dort trainiert wird, wie der Leistungsanspruch ist und wie das koordiniert wird, weil dabei verschiedene Ebenen zusammenarbeiten müssen. In kleineren Vereinen wurstelt oft jeder Trainer allein und jede Mannschaft völlig losgelöst vor sich hin. Es gibt kein einheitliches Konzept und keine klare Zielsetzung. Im krassen Gegensatz dazu ein Verein mit hohem Anspruch, in dem alles systematisch organisiert ist, wo sich ein roter Faden hindurchzieht und eine ständige Abstimmung zwischen den einzelnen Trainern stattfindet – das war etwas völlig anderes. Trotzdem musste der Verein einige Jahre später Insolvenz anmelden. Ein großer Sponsor war abgesprungen, und leider war neben dem sportlichen das finanzielle Konzept nicht entsprechend mitgewachsen.

A08: Was hat dich dann ins Markgräflerland verschlagen?
Christophe: Während meiner Militärzeit war ich von 1993 bis 1995 bei der Deutsch-Französischen Brigade in Müllheim stationiert. Im zweiten Jahr habe ich hier meine spätere Frau, eine Vögisheimerin, kennengelernt. Sie ist dann aber zunächst mit mir wieder nach Köln gezogen, wo auch die beiden ältesten unserer drei Töchter zur Welt kamen. Weil auch die Möglichkeit der zweisprachigen Schulausbildung für die Kinder in Müllheim für uns sehr interessant war, reifte irgendwann der Entschluss zum Ortswechsel, und 2004 zogen wir dann hier runter. Doch nach einem Jahr haben wir alles wieder in Frage gestellt. Uns fehlten die Kontakte, die Freundschaften, und wir sind dann wieder nach Köln zurückgegangen, aber nur um nach weiteren zwei Monaten festzustellen: Das ist es jetzt auch nicht. Also doch wieder retour – und nun aber richtig!

A08: Eine kuriose Geschichte – ich ahne schon: Wenn du dich irgendwo verabschiedest, muss das nicht für immer sein …
Christophe: Ja (lacht), das kann man vielleicht so sagen … Wir waren beim ersten Mal einfach noch nicht angekommen. Wir brauchten diesen Umweg, um uns unserer Sache sicher zu sein, und von da an lief es hier dann auch richtig gut für uns.

A08: Frankreich ist ja auch nicht weit …
Christophe: Das Elsass ist nun aber nicht Südfrankreich! Nein, es war eine klare Entscheidung für Müllheim, und wir fühlen uns mittlerweile sehr wohl hier.

A08: Welche Erinnerungen hast du an deine erste Ära bei der Alemannia? Was waren deine Aufgaben?
Christophe: Der Verein befand sich auch damals im Umbruch, es gab einen Jugendleiterwechsel. Der Klub war aber intakt, mit einer soliden Grundstruktur und von der A bis zur F-Jugend durchgängig besetzt. Und es gab eine erfolgreiche aktive Mannschaft. Es herrschte eine herzliche, familiäre Atmosphäre, und ich fand ein gutes Umfeld vor, um zu arbeiten und vielleicht auch im Leistungsbereich weiter nach vorn zu kommen. Nachdem ich beides, kleinere Vereine und ambitionierte leistungsorientiertere Klubs, kennengelernt hatte, war mir klar: Sportlichen Erfolg zu haben ist zwar gut, reicht allein aber auf Dauer nicht aus. Wenn ein Verein längerfristig bestehen will, braucht er ein tragfähiges Konzept, finanzielle Absicherung und eine klare Struktur. Und dies möglichst in schriftlich fixierter Form, als stete Orientierungshilfe.

A08: … etwas, das ja auch aktuell bei der Alemannia wieder auf den Weg gebracht werden soll.
Christophe: Ja, um 2005/2006 herum habe ich hier erstmals damit angefangen und Entwürfe für ein solches Konzept erstellt. Sportlicher Erfolg war zwar da, aber es fehlte eine Schwerpunktsetzung über sämtliche Jugendstufen: Wo wollen wir hin? Was braucht ein Aktiver später, und welche Grundsteine müssen wir jetzt dafür legen? Was sind unsere Werte, was ist die Philosophie des Vereins? Solche Themen waren vielleicht in den Köpfen präsent, nicht aber auf dem Papier und nicht in der nötigen Durchgängigkeit. Wir haben damals damit begonnen, Trainerrunden zu bestimmten Themen wie etwa «Abseitsfalle», «Dreier- oder Viererkette?», «Kindertraining» oder «Training im Winter» zu organisieren – mit dem Ziel der Diskussion und des Gedankenaustauschs. Dies wurde aber, nachdem ich als kommissarischer Jugendleiter aufgehört hatte, zunächst nicht weiter verfolgt.

A08: Warum hast du aufgehört und nicht stattdessen die Jugendleiterposition dauerhaft übernommen mit deinen Ideen?
Christophe: Der damalige Jugendleiter Roland Eichholtz hatte plötzlich und unerwartet sein Amt niedergelegt, und im Zuge dessen war auch die Trainerposition in der A-Jugend plötzlich vakant. Als Trainer zwischen B- und A-Junioren pendelnd und zusätzlich in der Funktion als kommissarischer Jugendleiter war ich nach einem Jahr durch. Es war einfach zu viel Drumherum zu erledigen, sodass für das Umsetzen des Konzepts keine Zeit blieb. Dazu kamen bei mir gesundheitliche Probleme, und so musste ich zwangsläufig kürzertreten. Als Roland dann später als Jugendleiter zurückkehrte, wurden die Planungen in Richtung eines Konzepts dann nochmal wieder aufgenommen, aber zu dem Zeitpunkt begannen sich dann schon die Probleme abzuzeichnen, die dann schließlich zur Auflösung der aktiven Mannschaften führten.

«Ich wollte es nicht wahrhaben, dass wir nach über 100 Jahren Vereinsgeschichte kein Team mehr stellen konnten»

A08Ohne allzu sehr ins Detail gehen zu wollen: Wo lagen für dich die Ursachen dieses Niedergangs?
Christophe: Die Jugendabteilung, der Nachwuchs, erhielt aus meiner Sicht nicht die nötige Beachtung. Es wurde nicht verstärkt zukunftsorientiert auf die Jugend gesetzt. Das Finanzielle ist immer ein wichtiger Aspekt, gerade im aktiven Bereich. Will man höherklassig spielen, braucht man eine gesunde Finanzierung. Die Frage ist: Wie stellt man sie her? Muss ich jede Saison zehn neue Spieler holen, die viel Geld kosten? Oder kann ich sagen, ich hole zwei oder drei, und der Rest kommt aus der eigenen Jugend? Wenn ich diesen Unterbau habe, dann ist das langfristig ein Erfolgsfaktor. In der Alemannia kam es da irgendwann zum Bruch, aber die Auswirkungen dessen zeigten sich erst etwa fünf Jahre später. Man konnte zusehen, wie es Jahr für Jahr bergab ging.

A08: Und obwohl du die Entwicklung hast kommen sehen, hast du trotzdem bis zum bitteren Ende weitergemacht …
Christophe: Ich habe geglaubt, dass wir noch die Wende schaffen. Nachdem wir die Aktiven abmelden mussten, weil ich an den Wochenenden keine Mannschaft mehr zusammenbekam, hat mich das über Monate schwer mitgenommen. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass wir nach über 100 Jahren Vereinsgeschichte kein Team mehr stellen konnten und ich als letzter Trainer da drinsteckte. Da macht man sich schon seine Gedanken und fragt sich, ob man hätte mehr tun, mehr motivieren können. Daran hatte ich lange zu kauen. Der Anspruch des damaligen Abteilungsvorstands war es gewesen, zum 100-jährigen Jubiläum unbedingt wieder höherklassig zu spielen. Es wurde alles darangesetzt, Spieler in den Verein zu holen, die dann aber letzten Endes nicht das nötige Herzblut, sondern eher eine Söldnermentalität mitbrachten.

A08: Ein gutes Beispiel dafür, wie sich die eigene Tradition mitunter gegen einen wenden kann. Aber lass uns in die Zukunft blicken: Was sind jetzt deine Ziele bei der Alemannia?
Christophe: Ich möchte da anknüpfen, wo ich aufgehört habe – in erster Linie als Jugendtrainer. Ich habe aber auch signalisiert, dass ich mir vorstellen kann, den bisherigen Jugendleiter Stephan Reichenbach, der seine persönliche Zukunft in diesem Amt ja daran geknüpft hat, in seinem Aufgabenbereich personelle Unterstützung zu bekommen, in dieser Funktion zu entlasten. Hier müssen wir schauen, wie wir die Aufgaben des Jugendleiters künftig verteilen können.
A08: Bei A08 warst du ja zunächst lange im Jugendbereich tätig, bevor du die «Erste» übernommen hast. Auch in Auggen waren es zunächst die B-Junioren, dann die Aktiven. Jetzt wieder Jugendarbeit in Müllheim. Junioren oder Senioren – wohin zieht es dich denn nun wirklich?
Christophe: Das möchte ich weder in die eine noch in die andere Richtung beantworten. Mein Herz schlägt einfach fürs Traineramt. Die Junioren geben dir mehr zurück, du bekommst mehr Feedback. Der Reiz bei den Aktiven besteht vielleicht darin, mehr im taktischen Bereich arbeiten zu können.

«Mit der neuen Strategie werden wir es hinkriegen, dass man Fußball in Müllheim wieder mit der Alemannia verbindet»

A08: Bei der Alemannia sollen ja beide Bereiche künftig auch nicht mehr so strikt getrennt werden. Da ist es gut, jemanden zu bekommen, der beides gut kennt und womöglich sogar miteinander verzahnen kann.
Christophe: Ja, mir schwebt eine Tätigkeit als eine Art Jugendkoordinator vor, um ein Jugendausbildungskonzept, welches auch unsere Werte, unsere Philosophie definiert, zu entwickeln und schriftlich zu fixieren.

A08: Was macht dich optimistisch, dass das diesmal klappen wird?
Christophe: Dass die Leute im Verein ambitioniert sind. Die Art und Weise, wie sie das hier gestemmt haben in den letzten Jahren und nicht überhastet, sondern kontrolliert und bewusst vorgegangen sind – da steckt eine Strategie dahinter. Mit einer solchen Vorgehensweise, davon bin ich überzeugt, kriegen wir es hin, dass man Fußball in Müllheim wieder mit der Alemannia verbindet.

A08: Und schließlich hat sich das «Wieder-am-Leben»-Projekt der A08 ja aus dem Jugendbereich heraus entwickelt. Von daher dürften dessen Belange nicht gleich wieder aus dem Fokus rücken und frühere Fehler vielleicht vermeidbar sein.
Christophe: Manchmal ist so ein Umbruch auch eine neue Chance. Der alte Baum musste weg – jetzt ist da ein zartes Pflänzchen, und das müssen wir peu à peu zum Wachsen bringen.

A08: Christophe, willkommen zurück, viel Erfolg bei deinen neuen Aufgaben und vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person: Christophe Bauduin (43) ist gebürtiger Franzose, kam im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern aus Nizza nach Köln. Seit 2004 lebt er, einen Steinwurf vom Eichwaldstadion entfernt, in Müllheim, wo er sich damals gleich der Alemannia anschloss und bis Ende 2012 zunächst B- und A-Junioren-Mannschaften und zuletzt auch die Aktiven trainierte. Nach einem zwischenzeitlichen Engagement beim FC Auggen kehrt er nun zur Jugendarbeit bei der Alemannia zurück. Er ist DFB-B-Lizenz-Inhaber und im wirklichen Leben beruflich als HSE (Health Safety Environment)-Manager für ein großes Technologieunternehmen tätig. In seiner Freizeit ist er gern mit dem Mountainbike in den Hügeln der Umgebung unterwegs. Christophe ist verheiratet und stolzer Vater dreier Töchter, die alle keinen Fußball spielen, was er allerdings keineswegs bedauert …